4.1.07

Eine wahre Geschichte

Die international preisgekrönte Werbeagentur Goebbelz und Söhne Zukunft kreativ hatte ihr gesamtes Kreativteam aus dem Urlaub geholt, um die zusätzliche Arbeitslast in einer einzigen gewaltigen kreativen Jam Session zu erledigen. Fast alle Partner von Goebbelz und Söhne hatten sich gegenseitig zur entscheidenden Neujahrs-Rabattkesselschlacht hochgeschaukelt. Baumarktketten, Elektromärkte, Autohersteller, für alle wurde sorgfältig und von langer Hand dasselbe Feindbild bei der jeweiligen Kundschaft erzeugt und gepflegt: die Mehrwertsteuererhöhung. Goebbelz und Söhne hatten in die Vollen gegriffen, das Rumpelstilzchen Mehrwertsteuer zu einem zähnefletschenden Monster hochgepusht und stets nur einen Ausweg gezeichnet: jetzt ein Auto, jetzt eine Kettensäge, jetzt einen Espressovollautomaten kaufen – oder auf ewig unter dem Joch staatlich oktroyierten Blutzolls zu ächzen. Doch viele Konsumenten zögerten noch, waren nicht eingeschüchtert genug und sich ihrer Kauf- und Manneskraft noch allzu sicher, um blindlings die dritte hochpreisige Einbauküche in zwei Monaten zu erwerben, um sich wieder potent und geil geizig zu fühlen.

„Meine Herren, wie lauten Ihre Vorschläge?“ Als sich Jehuda Goebbelz’ Drehstuhl langsam zu den versammelten Kreativlern umdreht, beginnt der Schäferhund-Welpe auf seinem Schoß zu knurren – eine kalkulierte Einschüchterungsgeste, an die sich neue Mitglieder der Tafelrunde nur langsam gewöhnen. Am Ende der langen Tafel erscheint aus dem Schatten der krumme Oberkörper einer spillerigen Gestalt im kalten Licht der Deckenpots, das von der Tischplatte aus Milchglas gleißend reflektiert wird.

Die Spinne beugt sich vor.
„Herr, der Schlüssel ist Angst.“ Pause. Die Spinne dreht ihren Kopf unnatürlich schnell nach links und rechts; ihr Blick schweift die Tafel entlang. Ihre Augen sind im Schatten der Augenhöhlen unsichtbar. Niemand erhebt Einspruch.

„Der Konsument ist klein und schwach und fürchtet sich vor nur noch vor größerer Kaufschwäche.“ Die Spinne macht eine Geste, deutet an, wie klein und wie schwach der Konsument sei. Sie räuspert sich, krächzt.

„Die Urangst ist Veränderung. Die moderne Welt, mit der der Einzelne nicht Schritt halten kann. Das Gesamt der Gesellschaft, der Leviathan, eine Fratze aus Stein und Stahl im ständigen Fluss, unbarmherzig, kalt, unbezwingbar. Das ist die Große Koalition. Das ist Hartz IV. Das ist die Mehrwertsteuererhöhung.“ Beim letzten Wort bricht die Stimme der Spinne. Sie pausiert.

„Schmu! Warum soll sich der Konsument noch vor die Tür trauen und HDTV-Geräte und solchen Tinnef kaufen, wenn wir ihm das suggerieren?“, donnert Goebbelz, „so spielen wir nur dieser Internetversandhaus-Mischpoke in die Hände!“

Einige in der Runde halten die Luft an. Das Internet wurde erwähnt. Seit Jahren hat sich der Alte dagegen gewehrt, das Internet als Werbeplattform zu nutzen und auch nur Aufträge von Internetfirmen anzunehmen. Ein Tabu wurde berührt.

Die Spinne, die sich kurz wieder ins Dunkel jenseits der grellen Helligkeit der Tafel zurückgezogen hatte, legt eine feingliedrige Hand auf den Tisch. Aus dem Nichts kommt ihre Stimme, fester nun als zuvor.

„In der größten Furcht ist der kleine Mann am leichtesten zu beeinflussen. Er ist verängstigt, sich seiner Machtlosigkeit bewusst. Wir strecken ihm eine Hand entgegen. Die einer Frau. Sie ist Mutter, Geliebte, Herrin, liebend und erregend. Sie ist Teil der entsetzlichen Welt und auch dort souverän. Sie ist größer, stärker und schöner als er, in perfektes Weiß gekleidet. Sie nimmt den Konsumenten bei der Hand und führt in durch die grausame Welt, flüstert ihm zärtlich zu, dass sie ihn liebt und begehrt, dass seine Schwäche geil ist. Sie führt ihn direkt in die Home-Entertainment-Abteilung zum teuersten DVD-Recorder.“

Der Alte rückt in seinem Sessel herum. Der Hund japst. Die Spinne zieht ihre Hand ein Stück zurück. Sie zittert.

„Ausgezeichnet. Rufen Sie Saturn an.“

Die Spinne verlässt den Raum fast lautlos, mit kurzen, schnellen Insektenschritten.

„Wir brauchen mehr Ideen, meine Herren. Es gibt noch so viel zu verkaufen.“ Er krault den kleinen Hund mit dem übergroßen Kiefer und den Pfoten, die zu einem größeren Tier zu gehören scheinen. Der Alte grinst in die Runde.

„Wir brauchen eine Angstfigur“, platzt es aus einem dicklichen Mann zur Linken des Alten heraus. Der Dicke lehnt sich hastig nach vorne, fixiert den Alten, grinst jovial und verstreut ungewollt Zigarrenasche auf dem Tisch. „Das ist viel besser als so eine abstrakte Angstkulisse. Das muss einfacher sein. Und noch besser als Angst ist Abscheu. Wir brauchen eine widerliche Figur. Schlecht gekleidet. Laut. Von mir aus dick.“ Er schaut sich in der Runde nach Unterstützung um. „So dick wie ich, Leute, nur hässlicher. Haha!“ Die junge Frau an seiner Seite kichert.

Der Alte ist nicht amüsiert. Er rümpft die Nase über den Dicken.

„Der Kerl stellt den Konsumenten dar, so wie er nicht sein will. Eine unangenehme Gestalt. Blickt sich im Geschäft um, und rümpft über alles seine Nase. Er glaubt, er weiß über alles Bescheid, ist aber bloß ein Idiot. Er hat Schweinsäuglein, Falten im Gesicht, eine Hakennase“, der Dicke ringt Zigarre paffend um ein Wort, „ein jüdischer Phänotyp. Sie wissen schon.“ Er grinst noch mal, schaut seine Sekretärin an. Sie kichert.

Der Alte lächelt ihn böse an.

Der Dicke fühlt sich bestätigt und fährt fort:„Und er schreit durch den ganzen Laden: ‚Ihr habt wohl vergessen, die Mehrwertsteuer draufzuschlagen!’ Und dann kriegt er eine gewatscht. Direkt eins in die Fresse. Man sieht noch, wie seine fetten Backen schlackern. Keiner will so sein. Das ist die Idee. Nicht Krach schlagen und meckern – kaufen!“

Der Alte lächelt immer noch böse. Er spricht ganz leise: „Sie sind gefeuert.“

Dem Dicken fällt die Zigarre aus dem Mund auf den grell weißen Tisch. Mit einer ungeschickten Bewegung steht er auf und eilt nach draußen. Seine Sekretärin schaut ihm verdattert nach, dann entschuldigend auf den Alten.

„Aber die Idee verwenden wir. Rufen Sie Hornbach an“, dekretiert er, „meine Herren, es wird Zeit für meine Vier-Uhr-Genitalmassage, lassen Sie noch einen hören, bitte, dann dürfen Sie zurück in die Ferien.“

Der Jüngste in der Runde schnippt mit dem Finger, drängt nach vorne an den Tisch, wie ein Schulkind.
„Was?“

Die Stimme des Grünschnabels überschlägt sich: „Produkte, die wild umherwirbeln! Waschmaschinen, Rührgeräte, Stereoanlagen! Sie kommen von links, von rechts, von überall! Dazu Musik von Rio Reiser! Und ein Schwein! Alberne Wortspiele! Lautstärke! Kontrast! Dicke, brachiale Schriftzüge, die dem Zuschauer entgegenspringen!“ Der Grünschnabel würde fortfahren, aber die ehemalige Sekretärin legt ihm einen Finger auf die Lippen, lächelt erst ihn an, dann mit großer Verbindlichkeit den Alten.

Der schüttelt langsam den Kopf, legt die Stirn in Falten und blitzt den Grünschnabel aus den Augenwinkeln an. Große Pause.

„Brillant. Einmalig. Das ist genau der meschuggene Stuss, den wir brauchen. Rufen Sie umgehend MediaMarkt an. Meine Herren, wir sind fertig hier. Gehaltserhöhungen für alle. Wir sehen uns im April. Holen Sie sich keine Geschlechtskrankheiten. Und jetzt raus!“

Der junge Hund springt zu Boden und tollt dem Alten zwischen den Beinen umher, als er den Raum verlässt. Das heranwachsende Raubtier hat sich wieder zu einem Welpen verwandelt. Die Tafelrunde applaudiert.

Und so war’s.

Labels: , ,


Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?