7.12.07

Dojczland gibt sich das Jahrwort

Die Gesellschaft für dojcze Sprache hat sich wieder bequemt, für alle, die nicht aufgepasst haben, das (plusminus einen Tsunami) vergangene Jahr in einem Wort zusammenzufassen: Klimakatastrophe. Nicht Antimonbleiblende, nicht Logogriph und auch nicht Freischärler, obwohl jedes dieser Wörter glitzernder, feiner und gediegener ist als das vokalisch in der Mitte durchhängende Klimakatastrophe. Nun muss man wissen, dass die Gesellschaft für dojcze Sprache nicht eigentlich an der dojczen Sprache interessiert ist, vermutlich, weil diese sowieso niemand mehr spricht, sondern vor allem daran, sich dem Zeitgeschmack anzuschmiegen und auf Wellen mitzugleiten, welche die Jahresrückblickmedienleuchttürme sanft umspülen und ihnen devot Wort-des-Jahres-förmiges Treibholz zu Füßen legen, statt scharf anzubranden und beißende Salzlösung ins Gesicht von Günther Jauch zu gischten.

Klimakatastrophe kann nicht das Wort des Jahres sein, sondern allenfalls Thema des Jahres. Als Wort trägt es gar nicht, nur sein zu Bezeichnendes hat Relevanz für Chronisten. Selbst bei sich ebenso traditionell selbst erfüllenden Jahresbestküren wie der Verschleuderung der Academy Awards lobt man ja nicht das meistverfilmte Thema (z. B. Adam Sandler, Sexismus, Pinguine, Herr der Ringe, Piraten-Zombies), sondern - zumindest im platonischen Ideenhimmel - besondere künstlerische Leistungen, die erbracht wurden, obwohl doch nur wieder alle Herr der Ringe mit einem auf einem kolossalen CGI-Pinguin reitenden Adam Sandler, der Piraten-Zombies im Nahen bzw. Mittleren Osten bekämpft bzw. rettet, verfilmt haben - und das ohne jedes Gender-Bewusstsein.

Wie soll sich überdies das Unwort des Jahres noch sinnbringend vom Wort des Jahres unterscheiden? Glaubt die Dojcztumsgesellschaft, dass Klimakatastrophe weniger ideologiegefährlich im Munde führbar sei als etwa die Unwörter der vergangen Jahre, Freiwillige Ausreise, Entlassungsproduktivität und Humankapital? Nichts stelle ich mir schöner, besser und weniger unwortverdächtig vor als eine tatsächlich aus freien Stücken erfolgende, eben freiwillige, Ausreise, bei der man sich zu Recht auf die eigene Schulter klopft ob der Souveränität der eigenen freien Entscheidung zum Verlassen eines einem aus was für Gründen auch immer widerwärtig gewordenen Landstrichs, ja, ob des persönlichen Sieges über die eigene Bequemlichkeit, den Ausreisewunsch endlich gegen sture dojcze Behörden durchgesetzt zu haben, die ein Bleiben mit allerlei Rechtsmittelchen zu erzwingen trachteten. Beschneidet die Erwähnung der Klimakatastrophe nicht mindestens ebenso das eigene Denken auf bloßes Abnicken, vermutlich sogar effektiver, da der Begriff im Unterschied zur fast völlig vergessenen freiwilligen Ausreise eine viel größere Verbreitung hat und auch nächstes Jahr, obwohl natürlich wieder etwas Neues gefunden werden muss, noch weitgehend unverminderte Wirkmacht demonstrieren dürfte?

Wenn's aber um Wörter geht, sollte man ungewöhnliche Sprachauswüchse küren, nicht dösige neoklassische Komposita mit einem unhübschen Maschinengewehr-makata in der Mitte, die so gewöhnlich sind wie nur was. Dann soll man halt wenigstens Wettergau sagen. Oder noch besser ein Wort wählen, das als Wort, nicht als Ding in diesem Jahr einen biografischen Höhe- und Wendepunkt vermelden darf. Zum Beispiel ist dieses Jahr das Partizip verwunschen verstorben und wurde von Walt Disney durch verwünscht ersetzt. Zur Einführung des neuen Wortes wurde eigens ein Spielfilm produziert, in dem übrigens, wohl um Geld zu sparen, Zeichentrickfiguren von Schauspielern dargestellt und Backen- und/oder Eichhörnchen digital eingefügt werden. (Der Link führt zu einem dämonisch-hypnotischen Trailer, der gleich mehrere sprachliche Neuerungen in Form von großformatigen Einblendungen einführt.) Andere Wörter erstritten 2007 die Anerkennung ihrer grammatischen Sexualität; nach einer Phase amerikanisch-sprachimperialistischer Political-correctness-Übergriffe sind der Irak, der Iran und der Jemen jetzt wieder so männlich wie ihre jeweiligen Führungseliten. Selbst im dojczen Nachplapperorgan des amerikanischen eingebetteten Journalismus, der Tagesschau, erklingt vor ihnen meist wieder ihr angestammter Artikel.

Interessiert's die Jahrwortler? Nö, denn die sind dumpf auf allen Sinnesöffnungen.

Labels: , , , , , , ,


This page is powered by Blogger. Isn't yours?