20.9.06

Wahrheit, Popahrheit

2006 ist kein gutes Jahr für die Wahrheit. Erst bekommt Grass für seinen allzu offenen Umgang mit der eigenen Vergangenheit auf den Deckel; und jetzt spürt der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyucsany den trockenen Handkantenschlag der eigenen Ehrlichkeit im Genicke. Wie einst auch unter deutschen Salonbolschewisten üblich (als sie noch nicht unter der Aufsicht der katholischen Schulhofrowdys standen), packte Ferenc in einer Fraktionssitzung nicht nur die unangenehme Wahrheit, sondern auch das gute Französisch aus: er und seine Mannen haben „am Morgen, am Abend und in der Nacht gelogen“, um die Regierung „aus der Scheiße zu ziehen“. Jetzt gelangten über trübe Kanäle Tonbänder dieser Bankrotterklärung an die Öffentlichkeit und spornstreichs brennt Budapest (ein bisschen).

Von Glück können wir da reden, dass wir hier von so einer bodenständigen, trutscheligen Person wie Angela Merkel regiert werden. Unter Madame Kanzler könnte so was nicht passieren, weil sie weder zu sich selbst dermaßen ehrlich sein, noch ihre Fraktion ein solches Maß an Aufrichtigkeit dulden könnte. Und: Pfarrerstochter Merkelchen hat bestimmt noch nie Scheiße gesagt, ohne sofort Schluckauf und nervöse Pusteln im Gesicht gekriegt zu haben. Nein, wir hier in Deutschland können uns, im Gegensatz zu Bananenstaaten, die Namen haben, die nach Unrat klingen, darauf verlassen, dass hier Politik professionell und weltmännInisch betrieben wird, und das heißt unter anderem in konsequenter Verleugnung eigener Fehler. Ein solcher Politikstil nimmt der Wahrheit den Stachel und reduziert ihre Konzentration auf homöopathische Dosen, die auch das denkfaulste Arbeitsgemüse vertragen kann. Hier ist es bloß unberechenbaren Künstlern im Rahmen der sogenannten Narrenmeinungsfreiheit gestattet, Kellerleichen im öffentlichen Sperrmüll zu entsorgen.

Wahr ist, was Arbeit schafft. Wahr ist, was wahr sein kann, weil es wahr sein darf. Wahrheit ist Staatsräson. Und die Kardinalwahrheit über jeden Politiker ist: I am not a crook. Unter dem größten Druck, die moralische Wahrheit dem Volke einzuschädeln, standen immer die Sachwalter der mächtigsten Staatsräson der Welt, der Vereinigten Staatsräson von Amerika. Der Staat, das waren sie, und sie, sie waren „ein Berliner“, „kein Gauner“ und hatten „keinen Geschlechtsverkehr mit dieser Frau“. Warum etwas anderes behaupten, wenn die Wahrheit so scheiße gut schmeckt?

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