13.7.06

Relaxter Faschismus

Die Macht in der Sprache erlöst Deutschland endlich von seinem schlechten Gewissen. Nationalismus, Patriotismus, Fahnenschwingen, Italiener verprügeln und ähnliche Begleiterscheinungen der WM sind völlig okay-hey, denn sie finden in einer neuen Stimmung der Entspanntheit statt. Die Presse gibt sich verblüfft darüber, dass die Deutschen so entspannt mit ihrer Nationalität umgehen, dass ihr Patriotismus ein so lockerer, beiläufiger ist. So ein Glück! Natürlich braucht es Experten, um festzustellen, ob ein besoffener, gewaltbereiter, deindividuierter Hans Sechserpack, der „Doitschland“ johlend durch die Straßen läuft, entspannt ist oder noch so ein alter, schlechter, verkrampfter Patriot. Der neue Patriot weiß, dass es irgendwie nicht in Ordnung ist, „Deutschland, Deutschland über alles“ zu singen, obwohl das ja an sich ganz seiner Stimmung entspricht, aber es gibt ja andere Lieder, deren Wortlaut unverfänglicher und im Vollsuff leichter zu reproduzieren ist (Shalalalalala etc.).

Sich wegen ihres Deutschseins nicht mehr schämen zu müssen, ist naturgemäß ein großer Gewinn für diejenigen, die glauben, das Deutsche sei tief und unveränderbar in ihrem soziogenetischen Code eingeschrieben. Deutschsein ist eben eine Eigenschaft; das sieht man schon daran, dass die Deutschen ihre Nationalität mit einem Adjektiv ausdrücken, während sie alle andere Nationalitäten anders bilden („Deutsch“ kann man steigern: Ich bin deutsch; du bist deutscher, Susi ist supitoitsch.). Wenn jeder Ami überall Amerika brüllen darf, dann, oh Gott, was muss das für ein Ungerechtigkeitsbolzen sein, der einem Deutschen das verbieten will. Wenn der dicke Schorsch von nebenan seine eigene Kacke essen darf, warum soll ich das nicht auch dürfen?

Das letzte, was man einem Patrioten zumuten (oder zutrauen) kann, ist, dass er er selbst sein solle. Lieber ist er deutsch und stolz drauf. Darüber muss man nicht lange nachdenken, und wenn man es mal vergisst, schaut man einfach auf dem Personalausweis nach. So erfindet man allerhand Entschuldigungen, um trotz belasteter Vergangenheit doch deutsch sein zu dürfen – man ist eben entspannter Patriot. Und die Nazis wären auch nicht so schlimm gewesen, wenn sie mal ein bisschen mehr gekifft hätten.

Es ist eigentlich komplett merkwürdig, dass sich die gesamte nationale Identität an den Fußball klammert (dass sie sich zeitweise sogar in Ballacks Wade konzentrieren konnte). Wieso wundert man sich nicht darüber, dass fette, dumme Menschen vor dem Fernseher sitzen und sportliche, dumme Menschen als Idioten beschimpfen, wenn sie mal die Stoßkugel (oder wie das beim Fußball halt heißt) nicht gekonnt ins gegnerische Körbchen schlagen? Wie kommt es, dass auf diese Entfernung (räumlich, lebensgeschichtlich, sozial, finanziell, konditionsmäßig, blutalkoholisch) ein solches Wir-Gefühl entstehen kann? Wie kann man ernsthaft sagen, dass „wir“ gewinnen/verlieren, wenn irgendwelche überbezahlten, ungebildeten, arroganten Arschlöcher irgendwo den Eisstock mit dem Schläger treffen/verfehlen? Wieso ist eine willkürliche Zusammenstellung von Sportlern Ausdruck irgendeiner nationalen Identität?

Es gibt natürlich die Kriegsmetaphertheorie. Wenn man im Ersten Weltkrieg Patriot war, dann hatte das auch damit zu tun, dass es Konsequenzen hatte, wie die Jungs sich da draußen auf dem Feld anstellten. Die Konsequenzen einer Fußball-WM sind allenfalls wirtschaftliche, und direkte Konsequenzen für die eigene Person werden eben herbeigesoffen. Was wirklich echt deutsch ist da draußen, freilich in anderem Sinne, ist auch heute noch das politische System. Wer sich mit seinem Deutschsein auseinandersetzt, so behaupte ich, kann das nur sinnvoll unter der Fragestellung „In was für einem Land leben wir eigentlich?“ tun. Eine Antwort mit elf Buchstaben wäre zu kurz, auch wenn sie sich angesichts der zahllosen leider immer noch nicht in der Versenkung verschwundenen chinesischen Deutschlandflaggen im Lande aufdrängt.

Comments:
"Deutschsein ist eben eine Eigenschaft; das sieht man schon daran, dass die Deutschen ihre Nationalität mit einem Adjektiv ausdrücken, während sie alle andere Nationalitäten anders bilden"

Wäre es möglich, daß das damit zusammmenhängt, daß "deutsch" sich sprachhistorisch direkt von einem Adjektiv herleitet und alle anderen 'Nationalitätsadjektive' nicht?
 
Warum wiederholen Sie, was ich sage, und wandeln es in eine Frage um?
 
Tat ich nicht.
 
Oder doch? Wie auch immer, ich ziehe die Frage vorsichtshalber zurück.
 
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